»New Weird America« ist ein Sammelbegriff, dem Musikjournalisten Ariel Pinks Sound zugeordnet haben. Neues seltsames Amerika. Nachdem der Indie-Musiker am 6. Januar an der Pro-Trump-Rally teilgenommen hatte, hätte der Begriff auch als Überschrift für die Geschehnisse in Washington taugen können: Was an dem Tag im Sturm eines Mobs aufs US-Kapitol mündete, waren neue, in der Drastik nie zuvor gesehene Bilder aus den Vereinigten Staaten, die weird wirkten. Und zwar auf die schlechteste Art. Irre.
Was hatte Ariel Pink, eine Art Lieblingshippie der Hipster-Playlisten, bei der Pro-Trump-Rally zu suchen? Ariel Pink, dessen Musik auch fürs schön Seltsame gestanden hatte – eben für die gute Art von weird?
Der 42-jährige Musiker aus Los Angeles, der eigentlich Ariel Rosenberg heißt, ist in der globalen Indieszene berühmt. Seit vergangener Woche steht er aber im Fokus der breiten Aufmerksamkeit, nachdem ein Foto seine Runden in den sozialen Netzwerken gedreht hatte. Das Foto, das die Filmemacherin Alex Lee Moyer auf Instagram gepostet haben soll, zeigt Ariel Pink unweit des befreundeten Musikers John Maus.
Wie mehrere US-Medien übereinstimmend berichteten, bestätigte Pink auf Twitter, an der Kundgebung vorm Weißen Haus teilgenommen zu haben, um »auf friedliche Weise« Trump zu unterstützen, und danach für ein Nickerchen ins Hotel gegangen zu sein. Seine bisherige Plattenfirma twitterte, dass sie »aufgrund der jüngsten Ereignisse« die Zusammenarbeit mit dem Musiker beende.
Ariel Pink hat sich dazu jetzt von Tucker Carlson, einem Fox-News-Moderator und Unterstützer des Trumpismus, vor der Kamera interviewen lassen. »Musiker nach Capitol Hill Riot zu Unrecht gecancelt«, stand in der Bauchbinde, während Pink den Kopf etwas hängen ließ und kurz später sagte, er stünde nach dem Rauswurf bei seinem Label nun auf der Straße. »Menschen sind so gemein.«
Im Interview sagt Pink, er sei für eine friedliche Kundgebung vor Ort gewesen. »Das ist alles, was das für mich war.« Auch wenn der Musiker selbst nicht am Sturm aufs Kapitol teilgenommen haben will, distanziert er sich im Gespräch mit Carlson nicht explizit von dem Mob, der aus Verschwörungstheoretikern wie Rechtsextremen bestand und nach dessen Sturm fünf Menschen tot waren, darunter ein Polizist.
Was an all dem zunächst irritieren mag, ist Pinks Ruf als einflussreicher Musiker, als Lo-Fi-Größe einer alternativen Musikszene, der man eine Nähe zu Trump nicht unmittelbar unterstellen würde. Unternimmt man etwa das Experiment, das Album »Before Today« von Ariel Pink's Haunted Graffiti zu hören und sich dazu Aufnahmen vom 6. Januar anzuschauen, fügen sich Klang und Bild nur schwer zusammen; allerhöchstens als Material für ein Meme, das versuchen möchte, die weirdness, den merkwürdigen Irrwitz des Tages, einzufangen.
»Before Today« wurde 2010 zu einem Kritikerliebling. Die Gründe dafür lagen vor allem in einem Sound, der Stilgrenzen überschritt. Das Bizarre war ein Unique Selling Point von Pinks Musik: Ohne eine gewisse Realitätsferne, eine Weltabgewandtheit, schien diese Musik kaum denkbar. Das war experimenteller Pop, der nicht aus dem Lokalradio, sondern von einem Piratensender zu kommen schien, der eine schon etwas zu oft gehörte Kassette abspielte.
Es wirkt, als hätte Pink nicht nur in seiner Musik das Überschreiten von Grenzen zum Prinzip erklärt, sondern in seinem Auftreten. Nicht nur in dem, was als Kunst dasteht, sondern in dem, was er als Typ von sich gibt. Wofür er steht.
Homosexuelle auf einer Stufe mit Pädophilen und Nekrophilen
Dass Ariel Pink eine Figur ist, die das Kontroverse zu suchen scheint, jemand, der sich damit umgibt, zeigt sich schon an dem Foto aus Washington: John Maus, der Musiker in Pinks Nähe, fiel bereits als Unterstützer der BDS-Bewegung auf, Alex Lee Moyer als Regisseurin einer Dokumentation über die Incel-Subkultur, an der die Kritik laut wurde, dass sie zu wenig Distanz wahre. Für die Dokumentation kümmerten Maus und Pink sich um den Soundtrack.
In den vergangenen Jahren hat Pink immer wieder mit provozierenden Aussagen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er hat Homosexuelle auf eine Stufe mit Pädophilen und Nekrophilen gestellt, und seine Liebe für die Westboro Baptist Church bekundet, eine hate group. Er hat gesagt, dass es nicht gegen das Gesetz verstoße, Rassist zu sein. Nachdem Grimes ihm Misogynie vorgeworfen hatte, nannte Pink die Musikerin »komplett dumm und zurückgeblieben«. Jüngst hat die Musikseite »Pitchfork« berichtet, dass Pink vorgeworfen wird, eine Ex-Freundin missbraucht zu haben.
Der Hype-Generator »Pitchfork«, der mit überschwänglichen Kritiken auch zu Pinks Ruhm beigetragen haben dürfte, fragte mal in einem Text, ob der Musiker ein Visionär oder ein Scharlatan sei, und lieferte in einem anderen Text eine Art Antwort auf die Frage: »Ariel Pink’s ›Joke‹ Isn’t Funny Anymore«, hieß das Op-Ed, in dem stand, der Musiker umarme seine Rolle als Troll.
Weird im Sinne von verwirrt
Aus dem Tucker-Carlson-Interview nun spricht entweder auch schlicht Verwirrtheit. Oder es spricht ein Troll, dem das Verwirren nicht fremd ist.
Carlson charakterisiert im Fox-News-Gespräch Pink als unpolitische Person, was der nicht verneint, wo er noch in einem im April 2020 veröffentlichten Interview über sich selbst sagte, dass er »die ganze Zeit« an Politik denke. Im selben Interview sagte Pink auch, dass er gar nicht wähle, wohingegen er im Gespräch mit Carlson davon spricht, nicht so sehr für Trump gestimmt zu haben wie gegen Cancel Culture. Demgegenüber steht wiederum, dass Pink vor ein paar Monaten noch twitterte, Trump und sein Team seien »DIE Genies unserer Zeit«. Und auch wenn er Carlson gegenüber nun Joe Bidens Sieg nicht in Frage stellt und das Friedliche betont, hat er vor Kurzem noch in einem Podcast den 20. Januar, den Tag von Bidens Amtseinführung als US-Präsident, wenig friedfertig den »Tag der Guillotine« genannt.
Was stimmt und was nicht, was ernst gemeint ist und was doch als Grenzüberschreitung inszeniert, ist bei Ariel Pink schwer zu sagen.
Die Grenzen verschwimmen, wie in Pinks Musik. Nur wirkt das jetzt längst nicht mehr weird im Sinne von schön seltsam, sondern im Sinne von verwirrt. Im Sinne von widersprüchlich. Und in Anbetracht dessen, dass Ariel Pink als Indie-Popstar für viele Fans ein Vorbild sein mag, auch im Sinne von gefährlich.
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