Nach insgesamt fast dreißig Jahren bei Bayer Leverkusen geht Rudi Völler in Fußball-Rente. Der Mann, den sie als Spieler "Tante Käthe" rufen, gibt Bayer nach dem Abgang von Reiner Calmund ein neues Gesicht. Doch nicht immer hat der ehemalige Bundestrainer dabei die Fäden selbst in der Hand.
"Auf gar keinen Fall! Wenn ich das meiner Frau erzähle, dann schmeißt die mich raus!" Es ist Sommer 2000 und Rudi Völler ist Sportdirektor bei Bayer Leverkusen - doch beim DFB herrscht große Not. Bundestrainer Erich Ribbeck war nach einer Katastrophen-EM in Belgien und den Niederlanden nicht mehr tragbar gewesen und eine Führungsriege um Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Gerhard Mayer-Vorfelder und Reiner Calmund hatte sich auf Christoph Daum als neuen DFB-Coach geeinigt. Doch es gibt ein Problem: Daum kann und will den Posten nicht sofort antreten. Erst im kommenden Sommer. Es muss eine Übergangslösung her. Aber wer soll es machen?
Und dann schaut sich Daum an diesem herrlichen Tag zusammen mit den Größen des deutschen Fußballs in der Runde um. Sein Blick bleibt auf Völler hängen. "Rudi, was ist denn mit dir?", fragt er den Weltmeister von 1990, der den Coach von Bayer Leverkusen und designierten Bundestrainer "entgeistert" anschaut, "so als hätte ich ihm gerade erzählt, dass er sich den Schnauzer abrasieren soll", wie sich Daum in seinem Buch "Immer am Limit" erinnert. Reiner Calmund, der damals noch schwergewichtige Manager von Bayer Leverkusen, schaltet am Schnellsten: "Okay. Dann rufen wir die Sabrina einfach mal an und fragen nach."
Es sind groteske Szenen, die sich da im Sommer 2000 abgespielt haben müssen, als Calmund schließlich tatsächlich zum Hörer greift und Rudi Völlers Ehefrau anruft. Minuten später ist eine folgenschwere Entscheidung für den deutschen Fußball, Bayer Leverkusen - aber vor allem für Rudi Völler selbst - gefällt und Daum sieht einen neuen Bundestrainer mit "Schweißperlen auf der Stirn": "So sieht man offenbar aus, wenn andere in deinem Namen entscheiden."
Legendäres Interview
Diese Geschichte passt eigentlich gar nicht so recht ins Bild des stets selbstbewussten, souveränen, manchmal auch etwas aufbrausenden Mannes, den die Republik zu seinen aktiven Spielerzeiten wegen seiner wallenden Haarpracht "Tante Käthe" taufte. "Er ist ein Typ wie Beckenbauer. Der kann irgendeiner Frau ein Kind machen - und es wird ihm in der Öffentlichkeit verziehen", sagte einmal der 1860-Torwart Michael Hofmann schwer beeindruckt über Völler. Und der Weltmeister von 1990 genoss in den allermeisten Stunden seinen Sonderstatus sehr. "Es gibt schlimmere Schicksale, als beliebt zu sein", meinte er einmal. Nur wenn sie ihn mal wieder zu doll in den Himmel gelobt hatten, dachte er über diese stets so wohlwollende Behandlung nach: "In solchen Nächten habe ich mich manchmal im Bett gefragt, was eigentlich so besonders an mir ist."
Den anderen Völler sollte die Nation tatsächlich erst so richtig am 6. September 2003 kennenlernen. Das berühmte "Scheißdreck-Käse"-Interview des damaligen Teamchefs der deutschen Nationalmannschaft mit Waldemar Hartmann wurde in der Presse ausgiebig besprochen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb: "Führungskräfte anderer Branchen hätten nach so unflätigen Ausfällen gar nicht mehr zum Rücktritt aufgefordert werden müssen; nach ein paar Minuten des Abstands wäre ihnen klar geworden, dass sie untragbar geworden sind." Die "Süddeutsche Zeitung" zeigte jedoch mehr Verständnis für die verbalen Ausfälle vor einem Millionenpublikum: "Völlers Wut ist kein Beleg einer charakterlichen Doppelexistenz, sondern nur eine fällige Reaktion, nachdem einer lange über seine Bedrückungen geschwiegen hat".
Vielleicht war die damalige Reaktion Völlers zum Teil auch seiner privaten Situation geschuldet. Denn seine Frau Sabrina hatte an diesem denkwürdigen Sommertag drei Jahre zuvor im Gespräch mit Reiner Calmund zwar letztendlich ihr Einverständnis gegeben, aber es klar an ein zeitliches Ultimatum geknüpft: "In Gottes Namen. Wenn das so ist, dann soll er es eben für ein Jahr machen. Aber nicht länger!"
Eine Notlüge von Calmund
Doch aus der Nummer kam Völler spätestens nach der Kokain-Affäre um Christoph Daum nicht mehr raus. Vier Jahre blieb er Trainer der DFB-Elf - und dabei Bayer Leverkusen stets verbunden. Denn dieses Kapitel in seinem Leben hatte bereits bei der WM 1994 begonnen. Calmund sagte später einmal über ein mehrstündiges Treffen auf dem Zimmer von Berti Vogts in den USA: "Damals wurde die Saat gelegt. Ich wollte Rudi Völler unter allen Umständen nach Leverkusen holen." Und tatsächlich musste der Bayer-Manager kurz darauf bereits zu einer Notlüge ("Ich stellte mich doof") greifen, als ihn das DSF (heute Sport1) live on air mit handfesten Gerüchten konfrontierte, er habe Völler soeben von Olympique Marseille verpflichtet. Denn in der Tat hatte es sich Calmund erst Minuten vorher auf der Couch gemütlich gemacht - nach einem Tagestrip per Flugzeug in den französischen Süden. Es war der Beginn einer großen Ära, die heute nach fast dreißig Jahren endet.
Ben Redelings ist ein leidenschaftlicher "Chronist des Fußballwahnsinns" und Anhänger des ruhmreichen VfL Bochum. Der Bestseller-Autor und Komödiant lebt im Ruhrgebiet und pflegt sein legendäres Anekdoten-Schatzkästchen. Für ntv.de schreibt er montags und samstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Weitere Informationen zu Ben Redelings, seinen aktuellen Terminen und seinem Buch mit den besten Kolumnen ("Zwischen Puff und Barcelona") gibt es auf seiner Seite www.scudetto.de.
Für Rudi Völler war es nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn 1996 eine riesige Chance, weiter dem Fußball auf höchster Ebene verbunden zu bleiben. Schließlich hat er einmal gemeint: "Ich kann ja nicht mein ganzes Leben lang sagen: Ich bin Weltmeister, sonst kann ich nix, aber das kann ich gut!" Und obwohl die Zeit in leitender Funktion bei Bayer Leverkusen titellos blieb, war er stets das sympathische Gesicht des Klubs, den man über lange Jahre als "Pillenverein" bezeichnet hat. Doch dann entschloss man sich, einen anderen Begriff, der "wie eine Zentnerlast auf den Schultern des Vereins lag" (Völler) auf "auf kreative Art in ein positives, strahlendes Licht" umzudrehen. "Unsere 'Werkself'-Kampagne. Das war die beste Idee, die man hier je hatte", sagt Rudi Völler auch heute noch mit sichtbarem Stolz.
Sein Ziehvater und Freund Reiner Calmund schied 2004 bei Bayer aus. Seitdem ist Völler der Hauptrepräsentant des Klubs gewesen. Und der Mann, den Berti Vogts einmal als "größte Fußball-Persönlichkeit überhaupt" bezeichnete, hat seine Sache im Sinne des Vereins gut gemacht. Und genau das denkt auch Reiner Calmund im Rückblick auf das bewegte Fußballer-Leben des Rudi Völler bei Bayer Leverkusen: "Ich bin ein Typ, der alles gerne in Hitlisten einsortiert. Das beste Restaurant, der schönste Urlaubsort, die tollste Frau. In der Liste der tollsten Typen, die ich im Fußballbusiness kennengelernt habe, steht Rudi Völler ganz oben. Diese Persönlichkeit zu Bayer geholt zu haben - das macht mich heute noch stolz!" Und das völlig zurecht. Alles Gute und Glück auf für die Zeit der Fußball-Rente, lieber Rudi Völler!
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