Die Entwicklung der 2021er Formel-1-Autos ist ein Kompromiss dessen, was die Ressourcen und die Homologation zulassen. Ferrari investierte seine Token im Heck, Alfa Romeo in der Nase. Technikchef Jan Monchaux erklärt warum.
01.03.2021
Der Formel-1-Jahrgang 2021 wird einmal als Spezialfall in die Geschichte eingehen. Zum ersten Mal konnten die Ingenieure nicht ein komplett neues Auto bauen. Nicht nur die Homologation vieler Teile setzte ihnen Grenzen. Die Teams mussten sich auch entscheiden, in welche Bereiche des Autos sie ihre Ressourcen investieren. Die Saison 2022 warf schon ihre Schatten voraus. Keiner will in dieser Saison noch viel am 2021er Fahrzeug herumschrauben. Damit musste das meiste schon im abgelaufenen Jahr passieren.
Auf der einen Seite bremsten die Homologationsbestimmungen und die reduzierten Windkanalstunden den Tatendrang der Ingenieure. Andererseits verlangten neue Bestimmungen für den Unterboden, Diffusor und die hinteren Bremsbelüftungen massive Nachbesserungen bei der Aerodynamik. Dazu kamen wie aus heiterem Himmel neue Reifenkonstruktionen von Pirelli, auf die ebenfalls reagiert werden musste.
Die Ingenieure standen mehr denn je vor dem Problem, wie lange sie das 2020er Modell aufrüsten sollten, welche Upgrades mit Hinblick auf 2021 relevant waren und in welchem Bereich man die beiden Entwicklungs-Token am besten beantragen sollte. Alfa Romeo zum Beispiel verbesserte seinen C39 noch bis zum Grand Prix der Türkei. Da saß man mit Red Bull in einem Boot.
Dreiviertel aller Teile übernommen
Dass die 2021er Autos bei all den genannten Beschränkungen ihren Vorgängern ähnlich sehen, ist kein Wunder. Manche Teams behalten ihre Typbezeichnung bei und fügen nur einen Buchstaben als Unterscheidungsmerkmal hinzu. Aus dem Red Bull RB16 wird der RB16B, der McLaren MCL35 verwandelt sich in den MCL35M. Alfa Romeo dagegen macht einen Zahlensprung. Von C39 auf C41. Die letzte Ziffer soll mit der Jahreszahl im Einklang stehen. Technikchef Jan Monchaux nennt den neuen C41 im Gespräch mit auto motor und sport die "Schwester des C39".
Die Homologationsregeln diktierten den Ingenieuren den Fahrplan. Alfa Romeo hat von den strukturellen, komplizierten und kostspieligen Komponenten des Autos zwischen 70 und 75 Prozent übernommen. Monchaux zählt sie auf: "Das Chassis, die Kühler, somit auch einen Großteil der Verkleidung, dazu das Getriebe und auch Teile der Hinterachse." Das freute den Buchhalter. Monchaux bestätigt: "Bei den Aerodynamikflächen, also dem was der Zuschauer sieht, haben wir rund um das Auto neue Teile. Was die Rundenzeit angeht, sind die die wichtigsten, was die Kosten angeht die billigsten."
Ferrari-Kunden mit altem Getriebe
Trotz der eindeutigen Verwandtschaftsverhältnisse steckt mehr Innovation im C41 als es auf den ersten Blick den Anschein hat. "Wir haben viel Zeit für die Analyse aufgewendet, in welche Bereiche wir unsere Ressourcen investieren, um den maximalen Ertrag zu erhalten", sagt Monchaux. Das Technikbüro in Hinwil steckte seine beiden Entwicklungs-Token in eine neue Nase. Sie hat ein anderes Nasenloch, einen anderen Übergang in den Kapuzenflügel, ist im Profil schlanker, oben runder und auch ein bisschen dünner, was man am Übergang zum Chassis erkennt.
Die Konzentration der Arbeit auf den vorderen Bereich des Autos überrascht, weil Technikpartner Ferrari seine Token im Heck verbraucht. Teil dieser Maßnahme ist ein schlankeres und leichteres Getriebe. Hätten die Ferrari-Kunden diesen Weg bestritten, wären ihre Token aufgefressen gewesen. Alfa Romeo und Haas entschieden sich dafür, mit dem alten Getriebe weiterzufahren. Das ist billiger und entlastet Ferrari. Offenbar wäre es für Maranello schwierig gewesen, unter den Covid-19-Restriktionen genügend Einheiten des extrem komplizierten Getriebes für seinen Satellitenteams zu bauen.
Eigenwilliges Frontflügelkonzept
Monchaux nennt noch einen weiteren Grund, warum Alfa Romeo sein Auto lieber vorne als hinten ändert. "Wir sehen vorne mehr aerodynamisches Potenzial." Mit der neuen Nase allein war es nicht getan. Das ganze ist eine Einheit, die aufeinander abgestimmt sein muss: Frontflügel, Nase, Kapuzenflügel, Deflektoren, Bremsbelüftungen und Leitbleche vor den Seitenkästen. "Alles dreht sich darum, die Y250-Wirbel vom Frontflügel zu kontrollieren, möglichst viel verwirbelte Luft außen an den Vorderrädern vorbeizubringen und die Strömungsqualität nach hinten zu verbessern", antwortet Monchaux auf die Frage, warum die Nase nicht noch dünner ausgefallen ist.
Auch die Vorderachse passte sich an. Die Verkleidungen der Querlenker gehören in das Kapitel Aerodynamik und sind damit frei. Alle radseitigen Änderungen, wie zum Beispiel die Bremshutzen, fallen ebenfalls nicht unter die Token-Regel.
Die Aerodynamiker in Hinwil beharren schon seit drei Jahren auf einem eigenwilligen Frontflügel-Konzept. Die Flaps fallen nach außen hin stark nach unten ab. Damit fühlt man sich wohl, damit kennt man sich aus. Es wäre unsinnig gewesen, im letzten Jahr einer aussterbenden Fahrzeuggeneration auf einen anderen Zug aufzuspringen. Beim neuen Frontflügel fällt der Schwung des Hauptblatts beim Übergang in den genormten Mittelteil stärker aus. Das zweite Element versteckt sich weniger hinter dem ersten. Die oberen Flaps sind filigraner, die unteren stärker als beim Vorgänger.
Was kostet am meisten Abtrieb?
Der Versuch der FIA den Autos Abtrieb zu nehmen um die Pirelli-Reifen nicht zu überlasten, hat die Aerodynamiker vor eine harte Aufgabe gestellt. Die aerodynamischen Eingriffe mögen klein aussehen, ihre Wirkung ist groß, wie Monchaux erklärt: "Der Winkelschnitt des Unterbodens vor den hinteren Reifen nimmt viel aerodynamische Fläche weg. Da fehlt eine Handbreit. Das allein kostet eine bis eineinhalb Sekunden. Der Unterboden ist nun mal das effizienteste Aerodynamikteil am Auto. Das generiert Abtrieb bei wenig Widerstand."
Der Technikchef von Alfa Romeo schreibt 90 Prozent der Abtriebseinbußen dem kastrierten Boden zu. Der Rest sind eher Kleinigkeiten: "Von den vertikalen Blechen im Diffusor dürfen nur noch eines auf jeder Seite in voller Länge bleiben. Bei den anderen mussten wir 50 Millimeter abschneiden. Das nimmt Saugpotenzial vom Diffusor. Analog wurde das untere Flügelchen an den hinteren Bremstrommeln um 50 Millimeter gekürzt." Monchaux glaubt, dass einige Teams den Verlust schon wettgemacht haben oder bald wettmachen werden.
Alfa Romeo wird dem Präsentationsmodell des C41 beim ersten Rennen ein Upgrade nachschieben. Was dann noch anschließend kommt, hängt nur bedingt vom Verlauf der Saison ab. Die Entwicklung des 2022er Autos ist einfach zu wichtig, als dass man da viel verschenken könnte. "Alle Teams werden die Entwicklung am 2021er Auto wegen der Bedeutung des 2022er Autos kürzer halten als in früheren Zeiten und spätestens im Sommer umschwenken. Dazu kommt der Druck der Budgetdeckelung. Wenn wir 100 Euro zur Verfügung haben, werden wir nicht 80 für das aktuelle Auto verballern."
In der Galerie zeigen wir Ihnen Bilder vom Shakedown in Barcelona, bei dem Robert Kubica die ersten Runden mit dem Alfa Romeo C41 abspulen durfte.
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