Es war gar keine schlechte Strategie des FC Bayern, dieses Spiel am Nachmittag bei Eintracht Frankfurt zu verlieren. Unvermittelt hatte das ZDF-Sportstudio ein großes Themenfeld mehr, das es mit Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zu beackern hatte: Die sportliche Krise und der vermeintlich wieder spannend gewordene Titelkampf. Und da man im Fernsehen die Sendezeit selbst am sehr späten Abend nicht willkürlich nach hinten verlängern kann, war für die anderen Baustellen-Themen, die sich Rummenigge in den vergangenen Wochen mit seinen Äußerungen geschaffen hatte, ein bisschen weniger Raum da. Clever sind sie, die Bayern.
Die Reise nach Katar zur Klub-WM mitten in der Pandemie, Rummenigges Auslassungen über mögliche Impfprivilegien von Fußballprofis, der kleinliche Streit um das Nachtflugverbot der Bayern vom Berliner Flughafen – der Bayern-Boss hat zuletzt einiges gesammelt, das ihn zur Reizfigur Nummer eins im deutschen Fußball hat werden lassen.
Auch früher hat der heute 65-Jährige schon viel gesagt, wenn die Saison lang war. Aber da gab es noch Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß im Verein, und die waren im Zweifel die besseren Schlag- und Reizwortlieferanten. Jetzt sind die beiden nur noch ehrenhalber in Funktion, und Rummenigge ist der, der übrig geblieben ist und polarisiert.
»Wir haben eine Menge zu besprechen«, begrüßte Moderator Jochen Breyer den Gast des Abends, und das taten sie dann auch. Weil der Präsentator Breyer an dem Abend dem Journalisten Breyer die Bühne überließ. Konsequent sprach der ZDF-Mann die Themen an, ging trotz aller Abstandsmaßnahmen in den Nahkampf und versuchte zumindest, Rummenigge nicht so einfach davonkommen zu lassen.
Was nicht so leicht ist, der Bayern-Boss gibt seit 45 Jahren Fernseh-Interviews, sein erster Auftritt im Sportstudio datiert aus dem Jahr 1976. Rummenigge beherrscht die Ausweichtechnik, auch wenn er nicht täglich kritische Nachfragen über sich ergehen lassen muss. Warum die Klubs trotz Corona kreuz und quer durch Europa reisen und RB Leipzig ein Heimspiel in Budapest absolviert? Alles eine Entscheidung der Uefa, sagt Rummenigge achselzuckend. Als hätte das Wort des FC Bayern dort kein Gewicht.
Seine Aussagen zum Impfen? Da sei er »offenbar von einigen missverstanden worden«. Er habe lediglich sagen wollen, »wenn mal genug Impfstoff da wäre, wäre es gut, wenn Fußballer sich impfen ließen«. Breyer verwies darauf, dass Rummenigge genau diesen einschränkenden Halbsatz ursprünglich nicht gesagt habe.
»Menschenrechtsverletzungen sind keine Kultur«
Ab und zu landete der Frager Wirkungstreffer, auch wenn Rummenigge das möglicherweise gar nicht so bewusst war. Breyer fragte: »Wo ist sie hin, die Demut?« Rummenigge behauptete postwendend, die Demut sei immer noch da, man sei froh, in der Bundesliga überhaupt spielen zu können, um dann gleich anzufügen »mit einem Hygienekonzept, das für die ganze Welt, auch für die USA vorbildlich war«. Und als Rummenigge immer wieder abstritt, dass der Fußball eine Sonderrolle habe, und Breyer dann auf den Verschiebebahnhof Europacup hinwies, sagte Rummenigge: »Dadurch entsteht leider der Eindruck, als habe der Fußball eine Sonderrolle.«
Beim Thema Katar hatte Breyer dann endgültig die Gesprächshoheit. Wieso der FC Bayern immer noch die Partnerschaft mit dem Emirat pflege, allen Menschenrechtsfragen zum Trotz? Rummenigge hob an, im Emirat herrsche eine andere Kultur, eine andere Religion. Weiter kam er nicht, weil Breyer dazwischen grätschte mit dem so lapidaren wie wahren Satz: »Menschenrechtsverletzungen sind keine Kultur.«
Rummenigge fiel darauf nicht mehr ein, als zu erwähnen, Katar habe jetzt den Mindestlohn eingeführt, »schneller als bei uns in Deutschland«, zudem habe sich die Situation dort erheblich verbessert, seit es die Fußballbeziehungen nach München gebe. Breyer: »Warum leistet sich der reiche FC Bayern nicht mehr Moral?« Rummenigge: »Der Fußball kann die Welt nicht in Gänze verbessern.«
Die Bayern haben in der Vergangenheit im ZDF schon die eine oder andere Schlacht geschlagen. Unvergessen bleibt das vom examinierten Juristen Bernd Heller Streitgespräch Anfang der Neunzigerjahre zwischen Uli Hoeneß und Christoph Daum im Sportstudio, an ihrer Seite die Sekundanten Udo Lattek und Jupp Heynckes, ein Wortgefecht, das zeitweilig an den Rand einer Wirtshausprügelei geriet. Oder das Interview von Harry Valérien mit Paul Breitner bei der WM 1982 am Swimmingpool, bei dem nur gefehlt hatte, dass sich die beiden gegenseitig ins Wasser schubsen. Aber das ist lange her, und wenn man ehrlich ist, hat es danach nicht mehr viele Gespräche dieser Art gegeben.
Diese Dimension von damals erreichte der Schlagabtausch am Samstagabend nicht. Aber Breyer hat einiges für die Reputation des Sportstudios getan. Auch für die eigene im Übrigen: Im Vorjahr hatten ihm viele kritische Fußballfans noch übel genommen, dass er Hoffenheims Geldgeber Dietmar Hopp im Nachklapp der Ereignisse um den Fast-Spielabbruch gegen den FC Bayern nicht in die Zange genommen hatte.
Am Ende stand, das gehört sich im Sportstudio so, das Torwandschießen. Rummenigge trat sechsmal an und traf kein einziges Mal. Irgendwie passte das ins Bild. Breyer hätte an diesem Abend bestimmt zwei, drei versenkt.
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