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Jochen Rindt: Wie der Formel 1-Star an versagender Technik starb - WELT - WELT

Für Motorsport-Fans hat der Anblick auf dem Foto etwas erschreckend Vertrautes: Acht Helfer stehen um das Wrack eines Boliden, der Mann im Cockpit ist kaum zu erkennen. Manchmal gelang es dem Piloten, sein Rennauto lebend zu verlassen, doch viel zu häufig eben nicht. Und weil jedem Formel 1-Interessierten der Name Jochen Rindt etwas sagt, weiß er, wenn er dieses Foto sieht: An diesem 5. September 1970 konnten die Helfer im italienischen Monza nichts mehr ausrichten, der Fahrer starb in seinem Lotus.

Es gibt Sportarten, auf die sich alle mehr oder weniger einigen können – beim Fußball beispielsweise mutieren zu Zeiten einer Weltmeisterschaft selbst Leute zu Bundestrainern, die sonst eher Geschirr abwaschen, als sich ein Spiel anzutun. Aber es gibt auch Sportarten, die liebt oder hasst man, ein Dazwischen ist unvorstellbar. Neben dem Boxen gehört traditionell der Rennsport dazu – aus einem äußerst simplen Grund: Athleten, die diesen Disziplinen nachgehen, müssen körperliche Schäden und sogar ihren eigenen Tod einkalkulieren. Es gibt kein vernünftiges Argument, dabei zuzusehen – aber die Vernunft siegt nicht immer.

BAU // Motorsport Formel 1 1970, Jochen Rindt etwa 1969 Monaco copyright by Pressefoto Baumann D-71638 Ludwigsburg Königsallee 43 Telefon 07141 440087 Fax 07141 440088 KSK Ludwigsburg (60450050) Konto Nr. 58014 email: baumann.dps@t-online.de
Erfolgreich im Lotus – Jochen Rindt in Aktion
Quelle: picture alliance / Pressefoto Ba

Kein Sicherheitskonzept kann auf der Piste verhindern, dass der Geschwindigkeits-Kick den Piloten das Risiko eines Unfalls unterschätzen lässt; keine Technik funktioniert so einwandfrei, dass sie nicht ausfallen kann und dadurch Lebensgefahr heraufbeschwört. Dies widerfuhr Rindt in Monza – das rechte Vorderrad seines Boliden löste sich im Training vom Rumpf. Der Fahrer verlor die Kontrolle, kam von der Bahn ab, der Wagen überschlug sich.

Es war das Ende eines Mannes, dessen Karriere gerade begonnen hatte, wirklich Fahrt aufzunehmen. Er war Konkurrenten wie Jack Brabham, Jacky Ickx oder Jackie Stewart weit enteilt, den Rennzyklus der Formel 1 führte er mit 45 Punkten an, das war so gut wie uneinholbar. Rindt verfügte über das Charisma eines Popstars – was aus ihm alles hätte werden können, wenn sein Fahrzeug beim Training in einwandfreiem Zustand gewesen wäre, bietet seit jeher Raum für die Art von Spekulationen, aus denen Mythen gemacht sind.

Die Anfänge waren bescheiden. Jochen Rindt kam 1942 in Mainz als Sohn eines Deutschen und einer Österreicherin zur Welt, doch seine Identität prägte das Land seiner Mutter. 1943 starben seine Eltern bei einem der Luftangriffe auf Hamburg, Jochen wuchs bei seinen Großeltern in Graz auf. Die hatten ein Importgeschäft, doch nach der Schule war der Junge nicht zu halten: Derartig schlug ihn der Rausch des Tempos in den Bann, dass er an Rennen mit einem privaten Simca teilnahm. Zum Idol hatte er Wolfgang Graf Berghe von Trips erkoren: Ein deutscher Fahrer, der das Wort Risiko nicht kannte, bis er 1961 auf der Piste umkam, nebenbei in einem italienischen Ort namens Monza.

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Rindt fand trotz oder gerade wegen seines Draufgängertums schnell Förderer in der Formel Junior und der Formel 2, damals noch eine bedeutende Serie. Mitte der 60er-Jahre machte er in unterlegenen Boliden eine gute Figur gegen Asse wie den Weltmeister Graham Hill, ein untrügliches Zeichen für außerordentliches Talent. Der Pilot beschränkte sich nicht auf die Formel-Serien, auch bei Tourenwagen-Rennen wie den 24 Stunden von Le Mans nahm er teil. Für die ganz großen Siege reichte es ohne ein entsprechendes Auto noch nicht.

1967 heiratete Rindt die Finnin Nina Lincoln, im August 1968 wurde ihre Tochter Natascha geboren. Ein Zeitpunkt, zu dem die Kollegen eine Veränderung feststellten: War sein Fahrstil bis dahin zuweilen waghalsig bis zur Verantwortungslosigkeit gewesen, so ging der Österreicher die Sache nun analytischer an. Seine Reflexe und sein Gefühl für die Piste waren es nun, die ihn seinem Ziel näherbrachte, Weltmeister zu werden.

Formula one Motorsport Formel 1 1970, Jochen Rindt 1970 Gold Leaf Team Lotus Motorsport Formel 1 1970, Jochen Rindt 1970 Gold Leaf Team Lotus
Im Rausch der Raserei
Quelle: picture-alliance / Pressefoto Ba

Dinge, die umso mehr zählten, als Rennfahrer die Athletik damals noch nicht sonderlich ernst nahmen: Kippe austreten und ab ins Cockpit war als Strategie noch wesentlich akzeptierter als heute, wo jeder Mann mit Ambitionen eine Entourage aus Fitnesstrainer, Ernährungsberater, Koch und Physiotherapeuten hinter sich herzieht.

Nach der Saison 1968 wechselte Rindt endlich zu einem großen Team: Lotus hatte alle Voraussetzungen, um sein Können zum Glänzen zu bringen. Doch bei einem Rennen in Spanien verunglückte er erstmalig in einem der Renner mit der hohen Heckflügelkonstruktion. Der Nasenbruch war noch das geringste Problem – trotz guter Genesung klagte der Fahrer eine Weile lang über Seh- und Gleichgewichtsprobleme. Seinen Beruf konnte er damit auf gar keinen Fall ausüben.

Doch 1970 passte alles zusammen, der neue Lotus 72 war eine technische Sensation, und Rindt vollkommen wieder hergestellt. Fünf Rennen in der Formel 1 hatte er vor dem Training in Monza gewonnen. Bei seinem Sieg in den Niederlanden allerdings war der Kollege Piers Courage verbrannt. Die Fahrer forderten nun laut bessere Sicherheitsmaßnahmen. Den Großen Preis von Deutschland verlegten die Veranstalter deshalb vom Nürburg- auf den Hockenheimring.

Beim Formel 1-Training zum Großen Preis von Italien verunglückt der in Mainz geborene und in Österreich aufgewachsene 28 Jahre alte Jochen Rindt tödlich. Sein Lotus-Ford verliert das rechte Vorderrad, der Wagen kommt von der Bahn und überschlägt sich. Rindt wird sofort in das Krankenhaus eingeliefert, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen können. Das Foto zeigt den Abtransport Jochen Rindts. (zu dpa «Erst der Tod, dann der Titel: Vor 50 Jahren stirbt Jochen Rindt» +++ dpa-Bildfunk +++
Das Ende: Am 5. September 1970 kam für Jochen Rindt jede Hilfe zu spät
Quelle: picture alliance/dpa

Doch Entscheidendes passierte nicht – und dabei blieb es lange, bis zum Tod Ayrton Sennas am 1. Mai 1994 beim Grand Prix von San Marino. Die Versuche, Rindts frühen Tod zu überhöhen, blieben unbeholfen. Weil niemand in der Saison 1970 mehr Punkte sammelte als der Österreicher, erklärten ihn die Offiziellen posthum zum Weltmeister. Der schwedische Kollege Ronnie Peterson sagte: „Wenn man bei etwas stirbt, was man liebt, stirbt man glücklich.“ Aber das brachte der Ehefrau den Mann nicht wieder und der Tochter nicht den Vater.

Vollends müßig ist es, darüber nachzudenken, ob Rindt mit den heutigen Sicherheitsstandards überlebt hätte. Es gab sie nicht, Ende der Diskussion. Und so bleibt wohl nur die Einsicht, dass es Männer gibt, die sterben müssen, um für ein bestimmtes Publikum zu Helden für die Ewigkeit zu werden.

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