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FC Bayern: Furcht vor Bedeutungslosigkeit - Sport - Süddeutsche Zeitung - SZ.de

Der 3:0-Sieg bei Arminia Bielefeld im fünftletzten Saisonspiel war gerade mal ein paar Minuten alt, als der Mittelfeldspieler Joshua Kimmich bereits eine umfängliche Saisonbilanz formulierte. Das "zu frühe Aus im Pokal" und das "zu frühe Aus in der Champions League" seien für die Ansprüche des FC Bayern "vielleicht zu wenig", sagte er, "da haben wir uns mehr vorgestellt". Dass bereits am kommenden Samstag gegen Borussia Dortmund der zehnte Meistertitel nacheinander perfekt gemacht werden kann, tröstet da nur bedingt. "Nächstes Jahr greifen wir wieder an", sagte Kimmich noch kämpferisch, als ihm plötzlich schwante, dass man den Dingen vielleicht nicht zu sehr vorgreifen sollte. "Ich wollte die Saison damit noch nicht beenden", entschuldigte er sein scheinbar voreiliges Resümee.

So voreilig aber war das gar nicht. Im DFB-Pokal und in der Champions League werden die Bayern kaum per Wildcard in den laufenden Wettbewerb zurückversetzt werden, und ihre neun Bundesliga-Punkte Vorsprung vor Dortmund werden sie, falls nicht bereits nächsten Samstag, dann gewiss in Mainz oder gegen Stuttgart zum Titelgewinn nutzen. Die laufende Spielzeit birgt eigentlich kaum Überraschungspotenzial mehr für die Bayern. Der Trainer Julian Nagelsmann sagt: "Es geht in den verbleibenden Saisonspielen nicht mehr um große Entwicklungsschritte, sondern nur noch um Ergebnisse." Die Saison 2021/22 wird in München bereits abgewickelt; ziemlich sicher mit dem Meistertitel zwar, aber zugleich mit herben Enttäuschungen in den anderen Wettbewerben. Deshalb spricht nicht nur Kimmich im Fernsehen schon über die kommende Spielzeit, auch hinter den verschlossenen Türen des Klubs beraten sie intensiv über die mittelfristige Zukunft.

In die Ungewissheit hinein hat Salihamidzic eine vermeintlich gute Nachricht

Am Sonntagmittag saß der Vorstandsboss Oliver Kahn in einer TV-Talkshow und räumte erstmals in dieser Deutlichkeit ein, dass der Mittelstürmer Robert Lewandowski nach all den Jahren des Erfolgs mit dem FC Bayern ins Grübeln gekommen sei und überlege, ob er in München bleiben wolle. Sein Vertrag läuft 2023 aus; in diesem Sommer bestünde für den Klub letztmals die Gelegenheit, eine Ablöse zu generieren. Zwar sind die Bayern entschlossen, mit dem Stürmer in die kommende Saison zu gehen, notfalls mit einem auslaufenden Vertrag - aber welche Dynamik sich in den nächsten Tagen und Wochen ergibt, ist schwer abzuschätzen. "Wir wollen, dass er möglichst lange bleibt", sagt Kahn über Lewandowski, der in Bielefeld ohne eigenen Treffer blieb, aber immerhin Jamal Musialas Tor zum 3:0-Endstand vorbereitete.

Die gleichen vertraglichen Voraussetzungen gelten bei Serge Gnabry, Manuel Neuer und Thomas Müller. Gnabry, Torschütze zum 2:0, teilte am Sonntagabend prägnant mit, es gebe keinerlei Neuigkeiten. Bei ihm erscheint die Lage ähnlich ungewiss wie bei Lewandowski, bessere Nachrichten sind bei Neuer und bei Müller zu erwarten. Man befinde sich "in guten Gesprächen", sagte Müller in Bielefeld, "beide Seiten wollen, und ich glaube, dass man da am Ende des Tages eine Lösung finden wird. Wie, wann, wo: Das werdet ihr dann erfahren." Zu hören ist, dass schon in den kommenden Tagen Vollzug gemeldet werden könnte; Müller und Neuer werden wohl neue Verträge bis 2025 unterzeichnen.

FC Bayern: "Für mich ist immer die Frage: Wo willst du hin auf lange Sicht?", sagt Bayerns Trainer Julian Nagelsmann. Auch Serge Gnabry (Mitte) stellt sich womöglich gerade diese Frage.

Müller hat dann noch ausführlich erklärt, dass das Aus gegen Villarreal "in der Rückschau" für immer ärgerlich sein werde, aber man müsse es "auch irgendwann akzeptieren. Es muss ja weitergehen". Wie genau, das ist allerdings die große Frage. Den Klub plagt durchaus eine gewisse Furcht vor einer zunehmenden internationalen Bedeutungslosigkeit, und mitten in diese große Frage hinein verkündete der Sportvorstand Hasan Salihamidzic in Bielefeld eine vermeintlich gute Nachricht: "Wir werden nicht den Klub gefährden, indem wir ein Risiko eingehen", sagte er.

Herzensfans könnten da spontan aufgelacht und befreit gedacht haben: Gott sei Dank, er gefährdet nicht den Klub! Doch dann dürfte mancher jäh gestutzt und sich gefragt haben: Aber was bedeutet das für die künftigen sportlichen Ambitionen des FC Bayern?

Diese Gedanken plagen auch den Trainer. "Für mich ist immer die Frage: Wo willst du hin auf lange Sicht?", sagte Nagelsmann nach dem Sieg in Bielefeld auf die Frage, was er von Salihamidzics unentschlossen wirkenden Ausführungen hält; einmal sagte der Sportvorstand, man wolle die Qualität im Kader weiter erhöhen, ein anderes Mal, man wolle sich vor allem ergänzen.

Nagelsmann respektiert die finanziellen Grenzen des Klubs: "Wir haben eine schwierige Situation, wir haben die Pandemie und allgemein andere finanzielle Voraussetzungen als der englische und der spanische Fußball", sagt er. "Deshalb müssen wir kreative Wege gehen und Lösungen finden, die vielleicht noch nicht im nächsten Jahr Früchte tragen, sondern erst in sechs, sieben oder acht Jahren." Dies war auch eine Reaktion darauf, dass sich der FC Bayern etwa den Dortmunder Erling Haaland weder leisten kann noch will.

"Ich habe meine Ideen", sagt Nagelsmann über die Ausrichtung des Kaders

Doch dann sprach Nagelsmann eine eindringliche Warnung aus: "Du darfst nicht viele Transferperioden verschlafen, weil so viele hast du nicht, und das ist in der freien Wirtschaft auch so: Wenn du am Ende ein Top-Produkt haben willst, dann musst du in der Produktion auch Top-Materialien verwenden. Diese Entscheidung müssen wir treffen, wenn man dauerhaft zu den Top Vier in Europa gehören will." Eine deutlichere Ansage an den Sportvorstand Salihamidzic und den Vorstandsboss Kahn wird Nagelsmann vermutlich nicht mehr aussprechen. Im Grunde formuliert er dabei aber nicht mal eine Forderung, er rät den Entscheidungsträgern allerdings, die Ansprüche zu definieren: "Wo will man hin?"

Für Kimmich, einen der wichtigsten Spieler in der Zukunftsplanung des FC Bayern, scheint die Antwort klar zu sein, wenn er sagt: "Nächstes Jahr greifen wir wieder an." Die Bundesliga meint er damit nicht, sondern die Champions League. Nagelsmann jedoch stellt öffentlich infrage, ob der FC Bayern sich künftig noch als europäischer Top-Vier-Klub sieht.

Mit solch schweren Gedanken sind die Bayern aus Ostwestfalen heimgeflogen, sie sinnieren über ihre künftige Rolle im internationalen Wettbewerb. Nagelsmann wartet offenbar auf diesbezügliche Signale aus dem Vorstand. "Ich habe meine Ideen", sagt er über die Ausrichtung des Kaders. "Und jetzt schauen wir mal, was im Sommer dabei herauskommt."

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