Eigentlich ist ein Curveball nichts anderes als eine Bananenflanke. Ein Ball, der mit Effet versehen wird, um den Gegner zu täuschen. Die Beamten beim deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) haben ihren Informanten trotzdem auf den Baseballausdruck „Curveball“ getauft. Sie wollten mit ihm schließlich die Kollegen bei der CIA beeindrucken.
Alles mit Bananen hätte die Amerikaner vermutlich an Woody Allen erinnert und der Glaubwürdigkeit von Rafid Alwan geschadet. Hätten sie den irakischen Asylbewerber bloß Bananenflanke genannt. Wer weiß, vielleicht wären Hunderttausende Menschen dann heute noch am Leben.
Im Vorspann von Johannes Nabers Politkinofarce „Curveball“ steht „Nach einer wahren Begebenheit. Leider“. Die Begebenheit begab sich im Jahr 1999, als ein gewisser Rafid Alwan sich beim BND meldete und behauptete, als Bioingenieur an Saddam Husseins Giftgasexperimenten beteiligt gewesen sein.
Damit schien man in Deutschland den großen Fisch am Haken zu haben, nachdem die Amerikaner so lange vergeblich geangelt hatten. „Das ist der absolute Knaller“, befindet BND-Abteilungsleiter Schatz in Nabers Film und setzt seinen besten Mann auf Alwan an, den Biowaffenexperten Wolf, der als UN-Kontrolleur vor Ort keinerlei Biowaffen im Irak hatte finden können.
Nach und nach zieht Wolf Alwan die „Wahrheit“ aus der Nase. Und als der Informant auf eine Serviette Pläne von Saddams angeblichen mobilen Biowaffenlaboren kritzelt, feiert man im BND den „Aufklärungserfolg“.
Gefeiert wird in den Diensträumen des BND in München-Pullach, deren Miefig-Piefigkeit Bände spricht über den Minderwertigkeitskomplex gegenüber anderen großen Geheimdiensten, der dem BND immer unterstellt wird. Und der aus seiner Gründungszeit herrührt (als das Personal der Nazi-Aufklärung übernommen wurde) und von diversen Niederlagen im Kalten Krieg (erinnert sei nur an Willy Brandts Kanzleramtsspion Günter Guillaume).
Man kann nur hoffen, dass die neuen Räume in Berlin-Mitte die Dienstler zu erfolgreicherem Agieren inspirieren. Die Nachricht von Rafid Alwan, dem großen Fang, wird – ausdrücklich gutgeheißen von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer – stolz an die Kollegen in Langley/Virginia weitergemeldet.
Arndt Wolf (gespielt von Sebastian Blomberg) ist der Held der Abteilung, eigentlich ein einsamer Ritter von der traurigen Gestalt ohne Privatleben, mit entfremdeter Tochter und einer Affäre mit einer deutlich abgebrühteren CIA-Kollegin.
„Die Wahrheit zählt nicht“, hält sie ihm vor, als er von seinen Zweifeln an Alwan erzählt, „Gerechtigkeit zählt.“ Wolf will wissen, woher sie das Recht nehme, Fakten zu verdrehen. „Wir machen die Fakten“, entgegnet sie.
Man könnte Colin Powells berüchtigte Rede vor dem UN-Sicherheitsrat mit seiner schicken Multimediapräsentation von Vermutungen, Halbwahrheiten und Lügen – worin die Informationen aus Pullach eine wichtige Rolle spielten – als die Mutter aller Fake News bezeichnen, wäre bei Kriegsursachen nicht schon immer gelogen worden, dass sich die Balken bogen.
Würde man das „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ konsequent anwenden, dürfte man der CIA niemals mehr auch nur ein einziges Wort abnehmen.
Johannes Naber hat mit der bitterbösen Wirtschaftsberater-Satire „Zeit der Kannibalen“ einen der besten deutschen Filme der Zehnerjahre gedreht. „Curveball“ ist eine Komödie über Geltungsdrang und Skrupellosigkeit, Eitelkeit und Ehrgeiz mit knappen Dialogen und Ausbrüchen von Slapstick.
Naber hat seine Fakten wieder ausgezeichnet recherchiert und setzt sich damit von der Dokumentation „Krieg der Lügen – Curveball und der Irakkrieg“ (2015) ab, die sich allzu sehr auf die Erzählungen Rafid Alwans verließ. „Curveball“ ist Naber trotzdem etwas zu sehr zum Kasperletheater geraten, mehr von der tödlichen Konsequenz von „Kannibalen“ hätte dem Film gutgetan.
Der Kanzleramtschef ist heute Bundespräsident
Man soll die Alwan-Episode nicht überschätzen. Sie hat die Weltgeschichte nicht umgeschrieben. Die USA wollten ihren Krieg als Rache für 9/11 und hätten ihn wohl auch ohne den falschen Ingenieur vom Zaun gebrochen.
Der Filmnachspann vermeldet die weitere Karriere eines der damaligen Hauptbeteiligten, des Geheimdienstkoordinators der Bundesregierung: „Der damalige Kanzleramtschef ist heute Bundespräsident.“
Mr. Curveball wurde für seine frei erfundene Fabel noch lange nach deren Auffliegen vom BND großzügig unterstützt, wie ein Bundestagsuntersuchungsausschuss herausfand. Über eine Tarnfirma zahlten ihm die Münchner Schlapphüte bis Ende 2008 ein Monatsgehalt von 3000 Euro.
Eine Gegenleistung ist dem Arbeitsvertrag nicht zu entnehmen, man liegt wohl nicht falsch mit der Vermutung, dass es sich um Schweigegeld handelte. Die Blamage sollte nicht in die Medien geraten. Erst Ende 2008 kündigte der BND den Vertrag, worauf Curveball vor dem Arbeitsgericht eine Nachzahlung von 2000 Euro erstritt.
Danach bezog er Sozialhilfe von monatlich 1590,82 Euro. Vielleicht hätte man doch den anderen Titel für diesen Film nehmen sollen, in dem alle völlig Banane sind.
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