Es gibt Zeiten des kulturellen Stillstands, und es gibt Zeiten der kulturellen Explosion. Zeiten der Blüte, in denen sich in kürzester Zeit Einmaliges ereignet. Zeiten wie Anfang der Achtziger, als nach Punk auch New Wave explodierte. Die Musik veränderte sich, die Mode und schließlich auch die Art, über Musik zu schreiben. Und so erlebte Anfang der Achtzigerjahre auch der Musikjournalismus eine kurze, heftige Glanzzeit. Ein neuer Ton zog ein. Der New-Wave-Journalismus war in vielem das Gegenteil von dem, was den Kulturjournalismus heute prägt: spielerisch links, schwungvoll, pointiert, leidenschaftlich, stets bereit, die Leserschaft auf intelligente Art vor den Kopf zu stoßen.
Schnell wurde die Hamburger Musikzeitschrift »Sounds« zum westdeutschen Zentralorgan dieses neuen Tons – und einer der wichtigsten Schreiber von »Sounds« wurde ein junger Bursche, der vor nicht allzu langer Zeit aus der schleswig-holsteinischen Provinz in die Stadt gekommen war. Eigentlich hieß dieser Bursche Andreas Banaski. Bekannt aber wurde er unter einem Pseudonym: Kid P.
Während Diedrich Diederichsen, der »Sounds« damals leitete, sich zunehmend ins Akademische hineinschraubte, kokettierte sein Mitarbeiter Andreas Banaski mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft. Seine Texte waren persönlich, zugespitzt, kühn, voller Provokationen in alle Richtungen: Gegen die herrschenden sozialdemokratischen Spießer, gegen Hippies, gegen all diejenigen, die sich die falschen Platten anhörten, sowieso. Banaskis besondere Liebe galt der Oberfläche, der großen, glitzernden Showtradition, dem reinen Pop also. Eine seiner Lieblingsbands, der er über Jahre die Treue halten sollte, waren The Human League. Deren größter Hit, »Don't You Want Me", war im Herbst 1981 erschienen.
Die große Geste des Rückzugs
1983 wurde »Sounds« eingestellt. Auf der letzten Seite des letzten Heftes finde sich ein Schwarzweißfoto. In allen Ausgaben zuvor waren hier – in einer Vorschau auf das kommende Heft – Popstars abgebildet. Nun zeigten sich hier Teile der scheidenden Redaktion. Darunter stand eine kleine Anekdote über Andreas Banaski. Es war der Moment, in dem die Popjournalisten selbst zu Stars wurden. Zumindest in der kleinen Welt derer, die sie lasen.
Doch die Popkultur ist launenhaft – und so, wie Human League nie mehr an ihre goldene Zeit in den frühen Achtzigern anschließen konnten, so endete auch die Ära von Kid P.
Banaski schrieb künftig unter seinem bürgerlichen Namen, meistens in der Musikzeitschrift »Spex«, die das »Sounds«-Erbe verwaltete. Irgendwann, wohl Anfang der Neunziger, gab er das Schreiben ganz auf. Er habe alles gesagt, erklärte Banaski selbst das sinngemäß später. Die große Geste des Rückzugs, des öffentlichen Verstummens.
Doch was später, in Biografien – oder in Nachrufen wie diesem – den Anschein von Glamour verleiht, führte in Banaskis Fall bloß in den Maschinenraum des Kulturjournalismus. Er arbeitete nun als Archivar und Dokumentar, erst bei »Tempo«, später auf eigene Rechnung.
Wer Banaski damals im Hamburger Nachtleben traf, erlebte einen Herrn in seinen mittleren Jahren, der immer ein bisschen zu adrett gekleidet war, die Haare gescheitelt, Nickelbrille, dazu ein knielanger Mantel. Er stand sehr gerade da, ein Bier in der Hand. Irgendwie passte er nicht hierher. Und doch war er einer derjenigen gewesen, der in seinen Texten Pop erst zur Daseinsform erhoben hatte. Einer der großen Veteranen, ein fast vergessener Held – dem jede Würdigung angemessen gewesen wäre. Der deutschsprachige New Journalism, den Banaski mitgeprägt hat, war da längst in den großen Redaktionen angekommen. Auch beim SPIEGEL.
Nahe der Reeperbahn hatte Andreas Banaski ein großes Büro, in dem er unzählige Musikzeitschriften aufbewahrte. Wer ihn hier besuchte, erlebte einen Menschen, der noch immer fast alles in der Popkultur mitbekam und zu all dem eine leidenschaftliche Meinung hatte – die aber kaum noch schriftlich äußerte. Nur hin und wieder schrieb er doch noch mal einen Text.
Dann, nach einem körperlichen Zusammenbruch, verstummte er als Autor vollends. Die letzten Jahre verbrachte er in einem Pflegeheim, dort, in der schleswig-holsteinischen Provinz, wo er einst hergekommen war.
Am Mittwoch ist Andreas Banaski gestorben. Er wurde 63 Jahre alt.
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