Album der Woche:
Achtung, die schlecht gelaunten Männer sind zurück, älter, bärtiger und grimmiger als je zuvor: 2005 glaubte man, Aidan Moffat und Malcolm Middleton hätten sich mit ihrem Album »The Last Romance« ein letztes, hinreißend misanthropisches Denkmal gesetzt. Doch jetzt haben sich die beiden schottischen Musiker noch mal ins Studio geschleppt. Zusammen mit Drummer und Band-Intimus Paul Savage, der 1996 schon das Debüt von Arab Strap produziert hatte, ist ihnen ihr vielleicht bestes, fiesestes und feinfühligstes Album gelungen. Ein verblüffendes Comeback zur richtigen Zeit.
Denn was braucht man in diesen Tagen des Corona-bedingten Grollbürgertums (Sascha Lobo) und der grassierenden Lockdown-Melancholie dringender als Pop, der einen in den düstersten Winkeln der eigenen Mickrigkeit abholt? Der einem beim sauertöpfischen Aufstoßen niederster Triebe im Homeoffice-Geschlumpfe ertappt, umarmt und zum erlösenden Tänzchen bittet: Ist schon okay, wir sind alle mies drauf, schmoren alle im eigenen, stinkenden Saft. Wie unendlich tröstlich.
Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet Sänger und Songwriter Aidan Moffat gleich im ersten, sanft schubsenden Track »The Turning of Our Bones« zum Salsa-Rave und zum Ausschütteln der morschen Knochen auffordert. Hatte er nicht gerade noch, vor 17 Jahren, im ähnlich sinisteren »Don't Ask Me To Dance«, solche Animationsversuche verdammt? Na ja, man wird älter.
Aber nicht milder: »I don't give a fuck about the past, our glory days gone by/ All I care about right now is that wee mole inside your thigh«, deklamiert Moffat, 47, im ungehobelten Falkirk-Dialekt, als wäre er Leonard Cohens zynischer kleiner Bruder aus dem Norden: sexfixiert, desillusioniert, moralisch korrumpiert, jedoch ohne die abfedernde Frömmigkeit und heilige Wucht von Cohen oder Nick Cave. Bei Moffat und Middleton taten die vom Bodensatz des Lebens gekratzten Wahrheiten schon immer etwas mehr weh.
Zum Beispiel in »Another Clockwork Day«, einer Akustikballade, die davon handelt, wie ein sentimentaler Tropf zu alten, pixeligen Erotik-JPGs in den geheimen Ordnern auf seiner Festplatte masturbiert, während seine Frau nebenan leise schnarcht. Es geht um den Verfall des männlichen Körpers in diesen lakonisch humorvollen Geschichten, um das Aufbäumen der Libido, Viagra, Selbstekel, critical oldness, wenn man so will.
Die Songs, um die ewig kreisenden Gitarren-Loops Middletons herumgebaut, diesmal auch ausgeschmückt mit Streicher-Schwirren und Saxofon-Drama, treiben den Zuhörer durch Quälgeisterstunden. Arab Strap sind, immer noch, Meister des schwitzigen Unbehagens auf dem Dancefloor. Ihr Sound, irgendwas zwischen Mogwai-Postrock, Indietronic und Slowcore, ist mehr denn je einzigartig im Limbo zwischen Nervosität und Lethargie.
»Bluebird«, noch so eine elektronisch zittrige Moritat, erzählt vom gemeinen Schwarzmilan, der in Großbritannien fäkalistisch Shite-hawk genannt wird, ein unsympathischer Greifvogel, der seiner Beute nachts in den Büschen auflauert. Ein echter Kackvogel also, aus dessen Perspektive Moffat alles schön schwarzmalt: »Ich will deine Liebe nicht, ich brauche sie«, bringt er die Notgeilheit in einer depravierten Welt auf den Punkt; Sex ja, aber bloß keine Zuneigung: »Give me your love, don't love me«.
Wir reden mit niemandem und allen, wir ratschen mit Geistern in Computerfenstern, philosophiert Moffat über die allgemeine Zoom-Entfremdung, um – vielleicht etwas zu banal – im Existenziellen zu landen: »And who are you anyway? Who am I anyway? Does anybody care?«
Der Cringe-Faktor dieser Männer, die mit unbarmherzigem Blick auf das letzte Zucken ihrer schwindenden Virilität starren, ist hoch, aber auch heilsam und kathartisch. Zumindest, aber nicht nur, für Angehörige derselben Alterskohorte. (9.0)
Kurz Abgehört:
Regener Pappik Busch – »Ask Me Now«
»Die Dreistigkeit des Ganzen ist vergleichbar mit Jazzmusikern, die plötzlich Pop spielen«, sagt Sänger, Schriftsteller und Trompeter Sven Regener über sein sehr launiges Album mit Jazzstandards von Coltrane, Monk oder Charlie Parker, das er zusammen mit Element-of-Crime-Kollege Richard Pappik (Drums) und Ecki Busch (Piano) im Lockdown aufnahm. Nix für Spezialisten, aber angenehm unverkopft. (7.5)
PeterLicht – »Beton und Ibuprofen«
Selbst die toten Winkel werden wach, wenn der Kölner Zeitgeist-Ironiker Meinrad Jungblut alias PeterLicht das Sonnendeck für ein neues Album verlässt. »Die Technik wird uns retten – und die Liebe auch«, proklamiert er mokant gegen seine Depressionen und lässt dazu gediegenen Indiepop träge schunkeln. Am schönsten ist seine Ode an die »Ibus«, aber etwas mehr stechender Schmerz hätte hier gutgetan. (6.5)
Kings of Leon – »When You See Yourself«
Man könnte behaupten, das Interessanteste am Comeback der US-Rockband Kings of Leon ist, dass sie es auch in der in Kunstkreisen angesagten Blockchain-Währung NFT veröffentlichen, als virtuelles Sammlerobjekt quasi. Topmodern für ein doch eher schnödes Mainstream-Rockalbum. Andererseits gibt's die ja mit diesem globalen Superstar-Anspruch kaum noch. Von daher hat's wohl echten Seltenheitswert. (3.0)
Adrian Younge – »The American Negro«
»James Baldwin hooked up with Marvin Gaye« nennt der Musiker, Hip-Hop-Produzent (unter anderen Kendrick Lamar), Labelgründer und Juraprofessor Adrian Younge sein ambitioniertes Multimediaprojekt über die Evolution des systemischen Rassismus gegen Schwarze in den USA. Zum Album mit Younges Gesang und Spoken-Word-Beiträgen zu analogen Soul- und Jazz-Grooves gibt es auch einen Kurzfilm und einen Podcast: eine Art Update von Gayes Klassiker »What's Going On« für das Black-Lives-Matter-Zeitalter also, das Jahrzehnte leidvoller Black Experience durchdringt. Überfrachtete, aber sehr eindrucksvolle Geschichtslektion. (8.0)
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