Borussia Dortmund entdeckt beim spektakulären 3:1 in Leipzig erst die Lust am Verteidigen und zeigt dann ein völlig entfesseltes Offensivspiel. Für RB ist der unerwartete Einbruch in der zweiten Hälfte derweil ein Rückschlag bei den Titelambitionen.
Es ist ja pandemiebedingt ohnehin ruhig geworden in den Bundesligastadien. Doch als Erling Haaland das dritte Dortmunder Tor des 1:3 (0:0)-Triumphes des BVB bei RB Leipzig am Samstagabend erzielte und Torhüter Peter Gulacsi umkurvte wie im Training, da wurde es richtig still im Leipziger Stadion. Nicht einmal mehr die gellende Stimme von RB-Trainer Julian Nagelsmann war zu hören; Stadionsprecher Tim Thoelke sagte den Treffer erst mit Verspätung durch; und auch die Dortmunder freuten sich eher zurückhaltend über ihren letzten Treffer, weil sie merkten, dass Leipzig gerade dabei war, komplett auseinanderzubrechen. So war der Soundtrack zu Befreiung der Dortmunder, die sonst den ohrenbetäubenden Lärm der 80.000 gewohnt sind, winterliche Stille.
Leipzig: Gulacsi - Orban, Upamecano, Halstenberg - Adams, Sabitzer (61. Klostermann), Haidara (71. Hwang), Angelino - Dani Olmo, Forsberg (61. Sörloth) - Poulsen (88. Samardzic). - Trainer: Nagelsmann
Dortmund: Bürki - Meunier, Akanji, Hummels, Guerreiro - Witsel (30. Can), Delaney (69. Zagadou) - Sancho (85. Tigges), Reus (85. Brandt), Reyna - Haaland. - Trainer: Terzic
Schiedsrichter: Daniel Siebert (Berlin)
Tore: 0:1 Sancho (55.), 0:2 Haaland (71.), 0:3 Haaland (84.), 1:3 Sörloth (89.)
Zuschauer: keine
Gelbe Karten: - Delaney (4), Akanji (2)
Vor der Partie war das Duell als Kampf um die Vormachtstellung zwischen Leipzig und Dortmund ausgerufen worden. Nagelsmann hatte mutig getönt, dass er drei Punkte gegen den BVB einplane, als sei Dortmund nur Laufkundschaft auf dem Weg nach ganz oben. Nach den Patzern der kompletten Konkurrenz im oberen Tabellendrittel hätte RB neuer Spitzenreiter werden können und sich damit als ernsthafter Titelkandidat in dieser Saison etablieren. Zwar sind es immer nur noch zwei Punkte auf Tabellenführer Bayern, doch der Überflieger knickte empfindlich ein, während die Dortmunder ihr erstes überzeugendes Spiel unter Interimstrainer Edin Terzic zeigten. Oder besser gesagt, ihre ersten komplett überzeugenden 45 Minuten. Eine entfesselte zweite Hälfte genügte, um Leipzigs zuvor so sattelfeste Defensive spielerisch zu demontieren.
Dabei hatten die Gastgeber so überlegen und der BVB nach vorn so hilflos begonnen, dass sich die Beobachter auf der Tribüne nach der ersten halben Stunde sicher waren, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis RB den ersten Treffer erzielen würde. Leipzig presste in unglaublichem Tempo, gewann Bälle und schnürte die Schwarz-Gelben im eigenen Strafraum ein. "Wir hatten 112 Fehlpässe in diesem Spiel, davon waren gefühlt 110 in der ersten Halbzeit", monierte Terzic. Zwar wollte der BVB die Hausherren auch kommen lassen, aber Kalkül, so Gegner und Ball so viel hinterherzurennen, war es nicht. "Den offensiveren Ansatz der zweiten Hälfte wollten wir auch schon in der ersten Hälfte zeigen, das hat nur noch nicht so gut geklappt", sagte der 38-Jährige.
"Zu hektisch und zu wild"
RB hatte in dieser Phase deutlich über 60 Prozent Ballbesitz, doch es gab keine einzige Torchance, weil die Präzision fehlte und die Dortmunder Ballbesitzkünstler leidenschaftlich und gut sortiert verteidigten. Wenn Yussuf Poulsen oder Tyler Adams einmal durchgebrochen waren, trafen sie die falschen Entscheidungen. In dieser Saison war Leipzig am besten, wenn Nagelsmann die Offensive mit falschem Neuner ohne groß gewachsenen Stürmer spielen ließ. Doch das war wegen sieben verletzten Spielern - am schmerzlichsten wurde Taktgeber Kevin Kampl vermisst -, gegen den BVB nicht möglich gewesen. "Wir hatten zu wenig Punch und Tiefe im Spiel, waren nach Eroberungen zu hektisch und zu wild", analysierte Nagelsmann.
So überstand der BVB den Leipziger Dauerdruck schadlos und bekam in der zweiten Hälfte die Möglichkeit, ein anderes Gesicht zu zeigen. Plötzlich verteidigte Dortmund hoch und spielte so aggressives Angriffspressing mit mehr Ballbesitz, wie es zuvor RB getan hatte. Die Leipziger wirkten überrumpelt, verloren zu einfach Bälle und ließen sich von Dortmunds Offensivtrio Haaland, Marco Reus und Jadon Sancho, das sich alle drei Treffer gegenseitig auflegte, düpieren. Vor allem die Kombination aus Urgewalt Erling Haaland, den sie so gern auch in Leipzig gesehen hätten und der erstmals nach Verletzung wieder dabei war, und dem in der zweiten Hälfte glänzend aufgelegten Edeltechniker Marco Reus machte an diesem Abend den Unterschied. In der Halbzeit hatte Terzic seinen Spielern gesagt: "Wir brauchen immer das Angebot in die Tiefe, aber nicht jedes Mal den Ball dahin. Manchmal reicht das Angebot, um den Raum zu öffnen und dann zu kombinieren."
So leitete das Duo dann auch das wunderbar herausgespielte 1:0 des BVB durch Jadon Sancho ein (55.), das seltsamerweise aus einem Einwurf entstand, den Marcel Halstenberg nicht verteidigen konnte. Doppelpass - gewaltiger Antritt und tolle Hereingabe - Verlagerung per Hackenablage auf die rechte Seite - wuchtiger Abschluss: Der Treffer dürfte zu den schönsten gehören, die die Schwarz-Gelben in dieser Saison erzielt haben. In jedem Fall öffnete er dieses zuvor nahezu chancenlose Spiel beider Teams. Nach einem krachenden Lattenschuss von Haaland (65.) behielt der Wunderknabe aus Norwegen gegen fünf Leipziger am Ball und bereitete sich das 2:0 per Kopf selbst vor (71.). Beim 3:0 bediente Reus seinen kongenialen Sturmpartner mit einem Traumpass vorbei an Willi Orban und Dayot Upamecano (84.). Das 25. Tor des Hünen im 25. Bundesliga-Spiel - ein Novum. "Eine unfassbare Quote, deswegen wollten wir ihn ja auch", sagte Nagelsmann. "Erling kann man schon verteidigen, aber nicht wenn die Spieler drumherum Platz haben und er Eins-gegen-Vier-Situationen lösen kann."
Dortmund wendet Schreckensszenario ab
Leipzig drohte ohne den mit Adduktorenproblemen ausgewechselten Kapitän Marcel Sabitzer (61.) komplett auseinanderzubrechen wie beim 0:5 in Manchester, fing sich aber in den Schlussminuten und betrieb immerhin noch Ergebniskosmetik. Dass Haalands norwegischer Sturmkumpel Alexander Sørloth nach 13 torlosen Bundesligaeinsätzen seinen Premierentreffer in der Liga für RB erzielte und im Nachsetzen zum 1:3 traf (90.), das nur noch Ergebniskosmetik war, passte aus Leipziger Sicht irgendwie zu diesem Abend.
"Wir haben heute einen großen Schritt in der Tabelle gemacht, wussten aber, dass wir dafür auf dem Platz kleine Schritte brauchen", sagte BVB-Coach Terzic gelöst. Statt neun Punkten Rückstand ist Dortmund nun wieder bis auf drei Zähler an RB herangerückt. Statt eines Zweikampfs zwischen Leipzig und München - Schreckensszenario aller Dortmunder - gibt es wieder einen Vierkampf um die ersten vier Plätze. Vor allem aber ist mit Dortmund, wenn es so kompakt und wuchtig, leidenschaftlich und spielfreudig zugleich agiert wie in der letzten Stunde des Spiels, wieder zu rechnen.
Die Leipziger hingegen mussten wieder einmal einsehen, dass es gegen große Gegner in der Bundesliga - anders als in der Champions League - zu Siegen nicht reicht. Bis auf einen Auswärtssieg in Gladbach hat Leipzig weder in dieser, noch in der vergangenen Saison gegen die Top vier Kontrahenten gewinnen können. Zu wenig für ernsthafte Titelambitionen. "Es ist ärgerlich, dass wir gegen einen direkten Konkurrenten verloren haben - und das auch noch mit drei Gegentoren. Die Punkte müssen wir jetzt auf anderen Plätzen holen", sagte Nagelsmann gefasst. Und Abwehrroutinier Willi Orban räumte ein: "Das war schon ein Rückschlag." Im Leipziger Stadion tuckerte jetzt immerhin der Rasentraktor.
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