Juhu! Er sagt "Mama"! Als der habsburgische Beamte Wolfgang von Kempelen 1783 durch ganz Europa tourte, um aller Welt seinen Sprechapparat vorzuführen, da war noch nicht die Rede vom Tele- oder gar dem Smartphone. Die Menschen waren verzückt, verstört, verzaubert von diesem eigenartigen Holzkasten mit Blasebalg-Konstrukt. Und heute, bald ein Vierteljahrtausend später, weiß man: der Urahn aller sprachsynthetischer Kommunikationstechnologie war mit ihm geboren. Ach was! Gebastelt, entwickelt, erfunden war er, geschaffen von Menschenhand. Ein Wunderwerk der Technik, das im Nachhinein betrachtet, eine Zeitenwende markiert.
Der Kempelen'sche Sprechapparat ist so ein Objekt, das Wissenschaftler nicht nur dazu treibt, mit roten Wangen technische Erläuterungen vorzutragen. Es lässt sie auch zu Erzählern wunderbarer Geschichten werden. Etwa darüber, wie sich Kempelen vollkommen seriös mit der künstlichen Erzeugung der menschlichen Sprache befasste, um Stummen zu helfen, und manchmal dennoch gehörig flunkerte. Mit seinem "Schachtürken" zum Beispiel. Diese faszinierende, lebensgroße Figur schien gegen jeden - automatisch - Schach zu spielen. In Wahrheit aber bediente sie ein unter dem Tisch verborgener Mensch - was uns bis heute den Ausdruck vom "getürkten" Spiel beschert.
Der Schachtürke hat es nicht geschafft in das Buch "Die Welt der Technik in 100 Objekten", das nun im Verlag C.H.Beck erschienen ist. Der Kempelen'sche Sprechapparat und die Geschichte um seinen illustren Erfinder aber sehr wohl. Der Apparat steht in einem funktionstüchtigem Nachbau im Deutschen Museum. Das Buch kann schon mal einen Vorgeschmack auf dessen Teil-Wiedereröffnung nach der umfänglichen Sanierung am 7. Juli geben; es soll aber darüber hinaus zeigen, wie Technik und Wissenschaft die Menschheitsgeschichte im vergangenen halben Jahrtausend geprägt haben.
Herausgegeben hat das Buch der umtriebige Generaldirektor des Deutschen Museums Wolfgang Heckl, selbst promovierter Biowissenschaftler, habilitiert in Nanowissenschaften und Leiter des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation an der TU München samt einem Labor für Experimentalphysik. Heckl bat seine sämtlichen Abteilungsleiter, ihr Lieblingsobjekt aus der Sammlung zu nennen - oder eben auch zwei oder drei. Nicht leicht bei 120.000 Objekten, die sich im Deutschen Museum befinden. "Von den mehr als 1000, die zusammenkamen, auf die gewünschten 100 herunter zu streichen, war ungeheuer schwierig", sagt Heckl.
Gelungen ist dieses Unterfangen. Fast. Wer nachzählt, kommt auf 108 Objekte, die im Buch beschrieben werden. Sie reichen in ihrer Bandbreite von der spätmittelalterlichen Inkunabel, also einem frühen Werk der Buchdruckkunst, bis hin zum modernen mRNA-Impfstoff.
Nicht alle Objekte sind im Museum sichtbar ausgestellt. Sie stammen auch aus den Beständen der Bibliothek und des Archivs. Sie repräsentieren zwar einen Querschnitt aus sämtlichen 54 Fachabteilungen, und sie sind weitgehend chronologisch in Kapiteln zusammengefasst. Dennoch ergeben sie in Summe keine klassische Wissenschaftsgeschichte.
Bei ihrer mit 300 Abbildungen versehenen Kompilation handelt es sich eher um eine Reihung von Objektporträts. Nicht jedes ist für jedermann gleichermaßen interessant - und schon gar nicht sind sie gleichermaßen interessant erzählt. Mehr als 70 Autoren haben mitgewirkt. Klar wird jedoch: Es geht bei jedem einzelnen um ein Stück Technik, das die Welt verändert hat. Und so mancher Hardliner unter den Tekkies mag sich wundern, was alles aufgenommen worden ist.
Das Patavinus-Cembalo
Vom Sinn der Redaktion für den hohen Wert der Künste bei der Fortentwicklung der Welt zeugt etwa, dass sie das Patavinus-Cembalo aus dem Jahr 1561 auswählte. Das elegante Instrument markiert den Abschied der Komponisten von der primären Orientierung am Gesang. Sie schrieben von da an nicht mehr nur verzierte Übertragungen vokaler Sätze, sondern nutzten nun die Möglichkeiten des seine Saiten auf vergoldete Wirbel spannenden Instruments und schufen eine eigenständige, virtuose Musik dafür.
Die Enigma
Es ist traurig, aber wahr: Ohne Kriegshandwerk wären viele Innovationen nie geschehen. Keine Waffe und doch ein Rüstungsgut ist die Rotor-Chiffriermaschine Enigma M4. Sie umgibt ein Mythos, der schon in mehreren Hollywoodfilmen Niederschlag fand. Wie viel die Entschlüsselung ihrer Signale durch die Alliierten wirklich zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges beigetragen hat, ist unklar. Sicher ist: Mehr als 9000 Beschäftigte arbeiteten an der Entzifferung der Enigma und ihr verwandter Wunderwerke der Chiffrier-Kunst.
Der S-Dübel
Eine große Erfindung kann auch ganz klein sein: Der S-Dübel aus dem Jahr 1957 bot Schrauben endlich richtigen Halt. Sein Erfinder Artur Fischer hat neben dem Kunststoff-Objekt noch 569 weitere Patente erfolgreich angemeldet. Und das allein in Deutschland.
Die Küchenmaschine
Gesellschaftliche Umbrüche kann Technik auch im Sinne der Emanzipation bewirken. Wer weiß, was Hausfrauen früher allein beim Schlagen eines Hefeteigs für Kraft und Ausdauer aufbringen mussten, kann mitreden. Die Küchenmaschine von Bosch ermöglichte in Deutschland von 1952 an ein ganz anderes Arbeiten. Theoretisch auch für Männer.
Das Flugauto
Staus, Abgase, Unfälle. All das verdankt die Welt leider auch ein paar großartigen Erfindungen wie dem Dieselmotor und dem ersten Benz. Das Flugauto Pop.Up Next soll Abhilfe schaffen. Entwickelt wurde es bereits im Jahr 2018. Dafür Pate stand dem italienischen Meister-Autodesigner Giorgetto Giugiaro der Film Blade Runner nach einer Geschichte des kongenialen Autors Philip K. Dick.
Die Welt der Technik in 100 Objekten, Hrsg. Wolfgang M. Heckl, Verlag C.H.Beck; Wiedereröffnung des bereits sanierten Teils des Deutschen Museums: 7. Juli 2022
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