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CCS und blauer Wasserstoff: Jetzt bricht die Klima-Lobby das Technik-Tabu - WELT

Der deutschen Klimaschutzlobby steht ein Streit über gemeinsame Positionen bevor. Technikoptionen, die bislang fast einhellig abgelehnt wurden, werden von einflussreichen Energiewendeprotagonisten nun plötzlich für zulässig erklärt.

Es geht unter anderem um die Einlagerung des Treibhausgases CO2 im Boden. Die entsprechende Technik, Carbon capture and storage (CCS), galt in der Umweltszene bislang als Tabu. CCS sei „eine Mogelpackung“, befand Greenpeace. CCS sei „keine Lösung“ sekundierte das Umweltinstitut München.

Die Technik sei risikobehaftet. Niemand könne garantieren, dass das in alte Öl- oder Gasfelder tief im Boden gepumpte CO2 auch dort bleibe, argumentierten die Gegner. In Brandenburg oder Schleswig-Holstein protestierten Bürgerinitiativen. Man wolle nicht „das CO2-Klo Deutschlands werden“. Die Bundesregierung schränkte daraufhin die Anwendung von CCS mit einem Gesetz weitestgehend ein.

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Nun aber halten wichtige Energiewendeprotagonisten wie die Denkfabrik Agora Energiewende und die Stiftung Klimaneutralität die Technik für unverzichtbar: In einer neuen Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ spielt CCS eine nicht unbedeutende Rolle, um bestimmte Industriesektoren oder auch die Landwirtschaft vollständig dekarbonisieren zu können.

„Klimaneutralität ist ohne CCS nicht zu erreichen“, konstatierte der Leiter der Stiftung Klimaneutralität, Rainer Baake, bei der Vorstellung der Studie. Baake, einst der für Energie zuständige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und praktisch der Architekt der deutschen Energiewende, ahnte, dass er damit auf Konfrontationskurs geht. „Dann werd ich mir mal die Finger verbrennen“, sagte er.

Auch gegenüber einer weiteren, bislang verpönten Technologie nehmen die Berührungsängste ab: Der Einsatz von blauem Wasserstoff dürfe nicht ausgeschlossen werden, sagte Baake. Blauer Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen, wobei das anfallende CO2 unterirdisch eingelagert wird – ebenfalls ein No-Go für weite Teile der Umwelt- und Klimaschutzbewegung.

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Die Technologie sei „ein Täuschungsmanöver der klimaschädlichen Erdgasindustrie“, befand etwa Hans-Josef Fell, einer der Erfinder des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Auch die Deutsche Umwelthilfe lehnt blauen Wasserstoff kategorisch ab.

Jetzt aber will Ökovordenker Baake nicht ausschließen, dass der vergleichsweise günstige blaue Wasserstoff zum Einsatz kommen muss, falls es in den kommenden Jahren nicht genug Ökostrom zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Elektrolyseanlagen gibt.

Agora-Chef Patrick Graichen äußerte allerdings die Hoffnung, dass der präferierte grüne Wasserstoff im Jahre 2030 günstiger produziert werden könne als blauer. Wasserstoff gilt als Bestandteil von klimaneutralen Kraftstoffen, etwa für den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr, als unverzichtbar.

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In ihrer Studie argumentieren die Institute, die zum Teil von der Bundesregierung, zum Teil von philanthropischen Stiftungen aus dem Ausland finanziert werden, dass Deutschland schon 2045 klimaneutral werden könne, fünf Jahre vor dem im Weltklimavertrag von Paris niedergelegten Zieldatum.

Voraussetzung dafür sei es aber, bis circa 2035 den Primärenergieverbrauch Deutschlands zu halbieren und das Ausbautempo erneuerbarer Energien zu vervielfachen. Eigentümer und Mieter müssten nach der Vorstellung der Studienautoren einen gewaltigen Beitrag zur Beschleunigung leisten. Sie müssten schneller energetisch sanieren und die Sanierungsquote von 1,6 auf 1,75 Prozent des Gebäudebestandes pro Jahr erhöhen.

Aktuell sind es etwa 0,9 Prozent. Es wäre also eine Verdoppelung des Umbaus im Bestand nötig. „Vor allem die Wärmepumpe wird eine zentrale Rolle spielen“, sagte Baake. „Man kann heute eine Wärmepumpe in jedes Ein- oder Zweifamilienhaus einbauen, ohne dass es vorher aufwendig energetisch saniert werden müsste.“

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Bis 2030 soll der Bestand von zwei auf sechs Millionen Wärmepumpen wachsen, später auf 14 Millionen Geräte. Der Strom dafür soll jederzeit aus Wind- und Sonnenkraftwerken kommen. „Nur noch in wenigen Ausnahmefällen“ sollten ab 2025 Heizungen auf Basis von Heizöl oder Erdgas in Betrieb genommen werden, lautet die Forderung.

Außerdem will man über das Ordnungsrecht die Betriebsdauer aller verbliebenen Geräte auf 20 Jahre begrenzen. Ginge es nach dem Willen der Studienautoren, sollen Hausbesitzer über einen Anreizmechanismus zum schnelleren Austausch von Gasheizungen bewegt werden, der sehr an das Prinzip „den Letzten beißen die Hunde“ erinnert: „Durch den starken Rückbau der Gasheizungen im Gebäudebereich verteilen sich die Kosten für den Betrieb und Unterhalt der Gasnetze auf immer weniger Endkunden“, heißt es in dem Gutachten.

„Dadurch wird die Nutzung von Gas für die verbleibenden Kunden zunehmend unwirtschaftlich.“ Über kurz oder lang sei dann zu erwarten, „dass der Betrieb der Verteilnetze für Erdgas nicht aufrechterhalten wird, wenn nur noch wenige Kunden bedient werden, sondern dass Netzteile beim Unterschreiten einer Auslastungsschwelle sukzessive stillgelegt werden.“

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Während etwa Großbritannien die bestehenden Gasnetze für den Wasserstofftransport umrüsten und damit auch Wasserstoffheizungen zu Hause ermöglichen will, setzen Stiftung Klimaneutralität und Agora hierzulande auf ein vollständiges Aus auch einer Versorgung mit grünem Wasserstoff für die Haushalte.

Explizit wird in dem Gutachten gefordert: „Kein Wasserstoff in der dezentralen Wärmeversorgung.“ Hunderttausende bestehender Gasleitungen würden verrotten. Die einzige Energiequelle für die Heizung wäre dann künftig Strom.

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