Der bürokratische Aufwand wird jetzt nicht geringer, aber im Deutschen Skiverband (DSV) sind sie auch dafür gewappnet. Am Donnerstag, nachdem Romed Baumann im Super-G dieser Weltmeisterschaften überraschend Zweiter geworden war, orchestrierten sie im Teamhotel spontan einen Sektempfang. Am Samstag zog Kira Weidle in der Abfahrt die nächste Silbermedaille heran, aber keine Sorge, versprach Wolfgang Maier, der Alpindirektor im DSV: "Der Sekt geht uns nicht aus." Einer seiner Betreuer sei im Nebenberuf "Prosecco-Dealer".
Dessen Dienste waren am Samstagabend wohl wieder gefragt. Eigentlich hatte Weidle nach der Abfahrt aus Cortina d'Ampezzo abreisen wollen, aber nun, sagte die 24-Jährige, "verlängern wir mit dem gesamten Team um eine Nacht". Sie, die so aufgeräumt und zielstrebig ist, hatte sich sogar schon eine Räumlichkeit für den festlichen Anlass ausgeguckt. Im Hotel gebe es einen Ski-Raum, "da stören wir keinen". Die Chancen der Männer in der Abfahrt am Sonntag sind ja auch nicht schlecht, für weitere Prosecco-Empfänge.
Drittes WM-Rennen, zweite Medaille für den DSV - da muss man die Archive schon gut durchkämmen, um auf Vergleichbares zu stoßen - ehe man bei der WM 2001 fündig wird, bei Hilde Gergs Bronze- und Martina Ertls Goldmedaille. Die bis dato letzte WM-Plakette einer deutschen Abfahrerin hatte Maria Höfl-Riesch vor acht Jahren beschafft, als Dritte; die letzte Silbermedaille stammte von Katja Seizinger (1996); die bis dato letzte deutsche Abfahrtsweltmeisterin war Rosi Mittermaier (1976). Das ist die Festgemeinde, in die Kira Weidle vom SC Starnberg nun aufgerückt ist, seit Jahren eine der größten von gar nicht so vielen Hoffnungen bei den deutschen Frauen, seit Viktoria Rebensburgs Rücktritt zuletzt umso mehr. "Da haben ja viele gelacht vorher", sagte Wolfgang Maier, der vor der WM eine Bewerbung für eine Medaille bei den Männern und Frauen eingereicht hatte. "Aber manchmal", sagte der 60-Jährige, "läuft es auch in unserer Richtung."
Als Neunjährige fuhr sie einen Schanzen-Auslauf kerzengerade hinunter
Weidle ist den Zeitplänen immer schon immer etwas voraus gewesen; als Grundschülerin fasste sie den Berufswunsch "Skirennfahrerin", als Neunjährige rauschte sie den Auslaufhügel einer Skischanze kerzengerade herunter, mit 19 debütierte sie im Weltcup, mit 22 stand sie das erste Mal auf dem Podest, als Dritte in der Abfahrt von Lake Louise - bis zum Samstag ihre beste Platzierung im Weltcup neben einem dritten Platz in Garmisch. Im Vorwinter hatte sie auch die Branchenweisheit kennen gelernt, wonach es auch beim rasanten Bergabfahren nicht immer bergauf gehen kann; die Vorbereitungen für diesen Winter verliefen dann wieder störungsfrei. Bis sie vor der ersten Abfahrt in Val d'Isère im Training stürzte. Daumenfraktur.
Drei Tage später wurde Weidle schon wieder Fünfte in der Abfahrt, mit angeknackstem Daumen. Ansonsten, betonten am Samstag alle Betreuer, hatte sie intern früh alles auf einen Tag ausgerichtet: den 13. Februar, der Tag der WM-Abfahrt, ihre einzige Chance auf eine Medaille, der kurvigere Super-G schmeckt ihr ja noch immer nicht so ganz. Wenn man etwas besonders wolle, sagte Jürgen Graller, ihr Cheftrainer, gehe das ja gerne mal besonders schief. Aber Weidle, berichtete er, habe es den ganzen Winter über geschafft, Anspannung und Lockerheit richtig abzuschmecken, ein schmaler Grat, den sie in den Wintern davor nicht immer getroffen hatte. "Ich hatte schon richtig gute Rennen dabei, bei denen mir Fehler das Podest gekostet haben", sagte die 24-Jährige nun, bei ihrem fünften Platz in Crans-Montana etwa. Dann fügte sie an: "Dass es klappen kann, war mir die ganze Saison schon bewusst."
Das Ego vieler Athleten schmilzt im grellen Licht der Erwartungen ja schnell mal dahin, zumal wenn sie ihr Land bei Weltmeisterschaften als einzige Starterin vertreten, wie Weidle nun in den Speed-Disziplinen. "Du hast einen Schuss, der muss sitzen. Das war bei uns schon eine gescheite Anspannung", sagte Andreas Fürbeck, ihr Disziplintrainer. Aber Weidle hatte auch da alle Vorkehrungen getroffen: Als sie am Samstagmorgen im Lift saß, habe sie den Begleitern gesagt: "Wenn ihr irgendwen erwischt, der übermotiviert ist, haut gleich mal drauf!" Sie redete den Druck aber auch nicht hinfort, sie nahm ihn an - und ihm so auch etwas die Kraft. Sie habe sich "so ein bisschen Gleichgültigkeit" eingeflößt, berichtete sie, "es kann gut gehen, aber es muss nicht". Letztlich sei es ja so: "Ich bin noch 24, ich weiß, dass noch ein paar Großereignisse kommen."
Weidle habe sich viel von Rebensburg abgeschaut, sagt ihr Cheftrainer
Und dann: Floss schon am Samstag alles zusammen. Weidles Skier waren perfekt auf den kalten, griffigen Schnee abgestimmt; kurz nach dem Start ein kleiner Fehler, ohne Wackler durch den Tofana-Schuss, 65 Prozent Gefälle und 130 Stundenkilometer, viel Tempo, das Weidle bis ins Tal durch die Kurven trug, durch die weitgeschwungenen und auch die schärferen, die sie mittlerweile sehr passabel beherrscht. Platz zwei, nur zwei Zehntelsekunden hinter der Schweizerin Corinne Suter - "da geht was", wusste Weidle. Suter ist in den vergangenen Wintern zu einer der besten Speed-Fahrerinnen avanciert, sie hatte bei der WM vor zwei Jahren schon Silber (Abfahrt) und Bronze (Super-G) gewonnen, zuletzt die Weltcup-Gesamtwertungen in beiden Disziplinen, am Donnerstag Silber im Super-G hinter Lara Gut-Behrami. Nun also ihre erste Goldmedaille. Kurz sah es so aus, als könnte Gut-Behrami nach ihrem Erfolg im Super-G auch diesen Wettstreit auf ihre Seite ziehen, im Ziel fehlten ihr allerdings 17 Hundertstelsekunden auf Weidle. Platz drei.
Mit langfristigen Prognosen sollte man vorsichtig sein in diesem zehrenden Gewerbe, aber 24 Jahre ist kein Alter für eine Abfahrerin, und Weidle ist von schweren Verletzungen bislang verschont geblieben - keine Selbstverständlichkeit für eine, die seit fünf Jahren auf der Speed-Tournee unterwegs ist. Graller, ihr Cheftrainer, hat beobachtet, dass sie "auch als Person noch mal gereift ist", sie wirke nach außen hin "eher locker und lässig", sie wisse aber genau, was sie wolle, da habe sie sich viel von Rebensburg abgeschaut. Weidle vergaß indes nicht, ihrem großen Betreuerteam zu danken: In dieser schwierigen Saison oft als einzige deutsche Repräsentantin unterwegs zu sein, "war nicht einfach". Jetzt ist auch noch eine Medaille im Gepäck dabei. Auch keine schlechte Begleiterin.
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